Orpheus in der Streicherwelt
Sanft groovt es mit osteuropäisch-folkloristischem Flair beim Opener „Eastern Moods“. Langsam allerdings schärft sich das harmonische Bild, bereitet die Atmosphäre auf für eine elegische Melodie, die schließlich in friedvollen Landschaften aufgeht, aus denen eine
Frauenstimme erblüht. Wolfgang Puschnigs Flötensound bleiben ein diskreter Part des nun malerischen Stückes, das als vokal-instrumentaler Dialog ausklingt. Diesem Stück – mit seinen kontrastreichen Episoden – folgen „Two Pems“. Sie verweilen atmosphärisch zunächst im
Poetischen, während Puschnig, nun am Saxofon, ganz bei sich wirkt. Sein markanter Ton, dieser „vokale“ Mix aus Süße, Melancholie und diskreter Intensität, prägt das Geschehen. Die Logik seiner instrumentalen Gedanken zeigt die Intention, mit wenigen Gesten das Wesentliche
auszudrücken. Doch schon wieder eine Wendung – etwas ist hier entschieden anders…
Ein Improvisator wie Wolfgang Puschnig ist ein Orpheus des Augenblicks, ein Philosoph des Spontanen. Er stürzt sich bewusst in unberechenbare Situationen, provoziert sich selbst, um Inspiration zu aktivieren. Das Flüchtige, die Magie des Ungewissen – sie sind ständige
Begleiter. Bisweilen jedoch befällt den Improvisator wohl das Bedürfnis, seinen Ausdruck zu weiten. Bisweilen will er seinen Ideen womöglich orchestrale Form verleihen und en passant der Flüchtigkeit durch Dokumentation entreißen. Wolfgang Puschnig tut es bei „Songs with
Strings“ part 1 in der kammermusikalischen Form eines Streichquartetts. Deshalb ist hier etwas anders…
„Ich wollte mich in einem lyrischen Rahmen bewegen. So entstanden aus instrumentalen Skizzen und teils sehr altem, fast vergessenem Material liedhafte Formen, die mich auch zu einigen „Lyrics“ inspirierten. Insofern lag für das Projekt der Titel ,Songs with Strings‘ auf
der Hand.“ Er habe bei der Entwicklung und Ausarbeitung des Materials „auch das Glück, mit dem Koehne Quartett wunderbaren Musikerinnen zu begegnen. Joanna Lewis, Anne Harvey-Nagl, Lena Frankhauser-Campregher und Melissa Coleman waren eine große Hilfe beim kreativen
Prozess. Sie waren äußerst geduldig, wenn es darum ging, Ideen auszuprobieren“. Mit den Stimmen von Svetlana Varava und Patricia Moreno sowie instrumentalen Beiträgen von Herbert Jobs und SungWoo Kang erlangt die Einspielung zusätzlich markantes Gepräge.
Natürlich aber dominiert das Streichquartett: In diesem vielfarbig schillernden Gewächshaus der Strukturen wird es zum unentwegt seine Gestalt wandelnden Fundament, das von flächigen Passagen zu dichter Dramatik wechselt. Da sind Poesie und Wehmut ebenso wie Dekonstruktion
durch kollektive Emphase im Sinne der europäischen Moderne. Da sind Einfachheit wie auch komplexe Überlagerungen von Instrumentalfarben, über die sich Puschnigs tönende Erzählkunst bisweilen trostvoll melancholisch, immer eindringlich, erhebt.
Die „Songs with Strings“ sind natürlich auch ein Beleg für Puschnigs weltoffene kosmopolitische Stilhaltung. Seine Suche nach dem Essenziellen findet auf bluesiger Basis ebenso statt wie sie weltmusikalische Sphären aufsucht und auf Puschnigs Zusammenarbeit mit der
südkoreanischen Formation Samulnori verweist. Puschnig hat mit „Songs with Strings“ also nicht nur seinen Ausdruck erweitert. Er hat Teile seiner musikalischen Biografie durch eine instrumentale Metamorphose in die Gegenwart gehievt. „Das Beste in der Musik steht nicht in
den Noten“, hat Gustav Mahler gesagt. Stimmt. Noten müssen zum Leben erweckt werden. Und „Songs with Strings“ sind dokumentiertes pralles Leben.